Sozial reicht hier nicht – gerecht soll es zugehen
System der Rundfunkgebühren sozial ausgewogener gestalten
Jeder zahlt den Rundfunkbeitrag, richtig? Nein. Es gibt eine Reihe sozialer Ausnahmefälle, wie Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter, Sozialgeld oder Arbeitslosengeld (ALG) II, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Ausbildungsförderung, Berufsausbildungshilfe oder Ausbildungsgeld für behinderte Menschen. Ungefähr 573 Millionen Euro (Zahl aus dem Jahr 2017) weniger fließen so jährlich an den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, für den die nächste Gebührenerhöhung bereits im Gespräch ist.
Zwei Punkte sehe ich hier kritisch:
Erstens verdrückt sich der Sozialstaat einmal mehr aus seiner Kernverantwortung, die darin besteht, für sozial benachteiligte Menschen einzustehen. In diesem Falle hieße dies, die fehlenden Rundfunkgebühren aus den Sozialkassen zu bezahlen. Indem dies ausbleibt, wird wieder einmal mit dem Finger auf die Ärmsten gezeigt, die ja nichts beitrügen. Ganze soziale Gruppen werden so einmal mehr ausgegrenzt und diskreditiert.
Zweitens wird durch die geübte Praxis ein Alibi für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk geschaffen, sich thematisch nicht oder selten sozialen Fragen zu widmen. Diejenigen, die davon betroffen sind, zahlen ja keine Gebühren. Jedoch ist der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk an einen Programmauftrag gebunden, dessen Einhaltung wir immer wieder anmahnen sollten.
Bundesagentur muss Zahlung übernehmen
Die Bundesagentur für Arbeit sollte die Kosten für die Bezieher von ALG II und von Sozialgeld übernehmen. Der Bund soll für die Ausfälle durch die anderen genannten Gruppen einstehen. Das wäre eine gerechte Lösung, weil eben jene Institutionen gesetzlich für die finanzielle Sicherung dieser sozial benachteiligten Personengruppen verantwortlich sind und die erforderlichen Summen ohne ernsthafte Probleme auf bringen können. Zur praktischen Umsetzung sollte die Befreiung der betreffenden Personen aufgehoben werden und gleichzeitig die Zahlung an den Beitragsservice direkt vom jeweiligen Sozialleistungsträger aus erfolgen, um Beitragsschulden vorzubeugen.
Auf diesem Wege könnte der Rundfunkbeitrag für die kommenden Jahre mindestens stabil gehalten werden. Aber auch die Förderung von lokalem Journalismus wäre eine denkbare Möglichkeit. Damit mache ich mir eine Forderung von Prof. Paul Kirchhof zu eigen, der bereits im Jahr 2010 in seinem „Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ nicht nur forderte, den Beitrag für Zweitwohnungen abzuschaffen, sondern es zudem für sinnvoll erklärte, die Kosten der sozial begründeten Beitragsbefreiungen dem Sozialstaat aufzuerlegen.
(Veröffentlicht im Widerspruch August 2019)