Journalismus: Die selbstgemachte Zensur
Der Intellektuelle Pierre Bourdieu fasziniert ihn. Sein weitreichendes Werk weiß der Journalist heute noch trefflich anzuwenden. Marcus Klöckner studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik. Kein Wunder also, dass er sich mit herrschafts- und medienkritischen Themen beschäftigt. So hat er u.a. das hier rezensierte Buch „Sabotierte Wirklichkeit“ publiziert und ist Mitherausgeber des Standardwerkes der kritischen Elitenforschung „Die Machtelite“ von Charles Wright Mills.
Du hast Dich intensiv mit dem Zensurbegriff auseinandergesetzt. In der Gesellschaft kursieren zwei Auffassungen: Die eine Seite sagt, in den (öffentlich-rechtlichen) Medien haben wir es mit einer Zensur von oben zu tun. Die andere Seite verweist auf Art. 5 des Grundgesetzes „Eine Zensur findet nicht statt.“. Wie lassen sich die antagonistischen Sichtweisen erklären?
Zunächst: Die Einseitigkeit, die Eindimensionalität in der Berichterstattung, ja, die Meinungskonformität in unserer Medienlandschaft, ist so real und offensichtlich, dass ein Zensurvorwurf ziemlich nahe liegt. Allerdings haben wir es mit einem komplexen Zensur-Phänomen zu tun, was dazu führt, dass zwei Sichtweisen aufeinandertreffen, die beide richtig und falsch zugleich sind. Daraus ergeben sich immer wieder Missverständnisse.
Wie meinst Du das?
Diejenigen, die sagen, eine Zensur findet statt, haben recht. Sie liegen aber falsch, wenn Sie die Zensur auf einen externen Zensor zurückführen, das heißt, wenn Sie davon ausgehen, dass es irgendwo eine Gruppe, eine „Macht“ gibt, die alle Medien in Deutschland kontrolliert und die Journalisten und Redaktionen medienübergreifend, dauerhaft sagen, was sie berichten dürfen und was nicht.
Diejenigen Journalisten, die sich gegen den Zensurvorwurf verwehren, mit Nachdruck betonen, dass sie noch nie einen Anruf aus dem Kanzleramt erhalten hätten, durch den auf die Berichterstattung eingewirkt werde, sind mit dieser Position also auch im Recht. So betrachtet sind Medien bei uns tatsächlich frei, umfassende, dauerhafte Eingriffe, die auf Zensur abzielen, finden nicht statt (wenngleich es natürlich Steuerungsversuche von außen gibt. Diese Eingriffe mögen im Einzelfall vielleicht erfolgreich sein oder auch nicht, sie können aber nicht dazu beitragen, dass eine gesamte Medienlandschaft, dauerhaft so uniform berichtet, wie es oft der Fall ist). Sie irren allerdings, wenn sie meinen, dass damit der Zensurvorwurf vom Tisch ist.
Erklär mir das bitte mal genauer.
Der Knackpunkt bei der Diskussion um Zensur in deutschen Medien besteht darin, dass beide Seiten sich einem enggefassten Zensurbegriff und Zensurverständnis bedienen und so permanent aneinander vorbeireden.
Zensur erfordert eben nicht immer einen externen Zensor. Zensur kann sehr wohl auch von innen ausgehen.
Du meinst, jeder Mensch ist seine eigene Zensurbehörde?
Wir alle haben aufgrund unserer Sozialisation einen bestimmten Blick auf die Welt. Wir haben bestimmte politische Meinungen und Ansichten, verfügen über ein bestimmtes Verständnis von sozialer und politischer Wirklichkeit, das ganz stark von unserer Sozialisation geprägt und auch bestimmt wird. Bei Journalisten ist das natürlich genauso. Sie sind nicht die personifizierte Objektivität. Sie sind, wie wir alle, geprägt durch ihr Milieu, ihre Schicht, in der sie aufgewachsen sind.
Kannst Du das bitte an einem Beispiel verdeutlichen?
Nehmen wir an, in der Stadt XY leben 50.000 Menschen. Alle 50.000 Menschen gehören einer sehr speziellen Glaubensgemeinschaft namens „Z“ an. Alle 50.000 Bürger dieser Stadt sind unter der Lehre dieser Glaubensgemeinschaft aufgewachsen, also sozialisiert worden. Ihre Eltern, Großeltern, andere Verwandte, Freunde, Bekannte, Nachbarn etc. gehören alle dieser Glaubensgemeinschaft an. Sie waren in einem Kindergarten dieser Glaubensgemeinschaft, dann in der Schule, dann auf einer entsprechenden Universität usw. Wie würden diese Menschen denken, wie würden sie die Welt wahrnehmen? Mit ziemlicher Sicherheit würde sich ihr Verständnis von dem, was sie als Realität wahrnehmen, sehr ähneln. Hier und da gäbe es bestimmt auch Abweichler, hier und da gäbe es Personen, die die Glaubenslehre hinterfragen, die andere Ansichten entwickeln, vielleicht auch der Lehre widersprechen würden, aber die große Mehrheit würde wohl die Welt durch die Brille dieser Glaubensgemeinschaft wahrnehmen.
Das klingt ein bisschen nach Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, nur das die Menschen in dem Roman schon im Embryonenstadium zurechtgebogen wurden.
Das Beispiel ist eine Zuspitzung (wie Huxleys Roman auch), aber es ist der Situation, die wir in unseren Medien vorfinden, ähnlich. Die große 2006 veröffentlichte Journalistenstudie des Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg hat eindrucksvoll belegt, dass die überwiegende Mehrheit der Journalisten aus der, wie Weischenberg es formuliert, „veritablen Mittelschicht“ stammt. Das ist zwar eine Weile her, aber dass sich die soziale Schließung des journalistischen Feldes auch in den Jahren danach fortgesetzt hat, daran habe ich keinen Zweifel. Andere, kleinere Studien, die danach erfolgt sind und sich mit der sozialen Herkunft von angehenden Journalisten an Journalistenschulen auseinandergesetzt haben, verweisen auch in diese Richtung. Mittlerweile ist zwar durchaus das Problem eines sozial zu homogen besetzten journalistischen Feldes Führungsfiguren in den Medien bewusst geworden und es gibt Kurskorrekturen. Allerdings sind diese viel zu zaghaft und ändern auch nichts an dem grundsätzlichen Problem.
Der Punkt also ist: Wir haben im journalistischen Feld eine Dominanz von Personen, die aus einer gemeinsamen Klasse kommen, eine sehr ähnliche Sozialisation durchlaufen haben und somit auch Denk-, Wahrnehmungs-, und Klassifizierungsmustern veranschlagen, die sich ebenso ähneln.
Dessen gilt es sich bewusst zu sein, wenn wir im Folgenden weiter über diese Zensur in unseren Medien reden.
Du meinst, deshalb empfinden viele Menschen die Berichterstattung so eintönig? Kannst Du ein Paar Beispiele nennen?
Die Berichterstattung in unseren Medien lässt eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur erkennen. Dadurch, dass sich der „Blick auf die Welt“, dass sich die Wahrnehmung und Einordnung der politischen und sozialen Wirklichkeit in den Redaktionen durch die Basis einer mehr oder weniger gemeinsamen Sozialisation extrem ähnlich ist, kommt es mit zu der Homogenisierung der Berichterstattung, die wir erleben. Beispiele gibt es genug:
Trump? Ein unmöglicher Präsident. Wer ihn gut findet, muss verrückt sein.
Russland? Ein autokratisches System, das es zu verurteilen gilt.
Putin? Ein gerissener Ex Geheimdienstler, der mit seinen Macho-Allüren unerträglich ist und mit dem man nicht ansatzweise sympathisieren kann.
Ukraine-Krise? Der Westen ist gut, Russland böse.
Armut in Deutschland? Ja, aber uns geht es doch gut.
Covid-19? Ganz schlimm. Wer hier etwas hinterfragt, ist verrückt.
Corona-Demos? Ganz, ganz schlimm. Tiefpunkt der Demokratie.
Corona-Demonstranten? Alles Irre.
So, und das ist Tatsache, sieht im Großen und Ganzen die Berichterstattung in unseren Medien aus.
Wenn man sich mit Journalisten, die diese Sichtweisen in ihrer Arbeit veranschlagen, unterhält, dann wird deutlich, dass es oft keinerlei kritische Distanz zum Objekt ihrer Erkenntnis gibt. Sie setzen ihre Sicht mit der Realität gleich. Sie sind der festen Überzeugung, dass aufgrund ihrer überragenden Intelligenz, ihrer überragenden Ausbildung, ihres überragenden Wissens und ihrer überragenden Fähigkeit, politische Sachverhalte und Informationen analytisch präzise einzuordnen ihr Blick von einer freischwebenden Intelligenz getragen ist, der völlig frei von Verzerrungen ist, also ihre Sicht überhaupt gar nicht falsch sein kann.
Durch diese Überzeugung, werden Journalisten dann auch zu Zensoren (ohne, dass sie sich dessen selbst bewusst sind). Eine ihrer Kernaufgaben, nämlich die Auswahl von Informationen läuft gerade bei den großen gesellschaftlichen und politischen Themen oftmals nicht mehr nach journalistischen Prinzipien, sondern nach weltanschaulichen Maßstäben.
Die Bürger, die Medien kritisieren, erkennen dieses Versagen sehr genau. Dagegen richtet sich ihr Protest.
Journalisten werden so gesehen ihren eigenen Berufsprinzipien nicht mehr gerecht. Sprichst Du deshalb in Deinem Buch auch davon, dass der Journalismus zur Glaubenslehre wird?
Journalisten sortieren Informationen, Nachrichten, Standpunkte, Analysen, aber auch Akteure, die nicht den in den Redaktionen vorherrschenden Weltbildern entsprechen, weitestgehend gnadenlos aus. Die Berichterstattung, insbesondere die der großen Medien, gibt nicht ansatzweise die Meinungsvielfalt wieder, wie sie in der Bevölkerung vorhanden ist, sondern bedient im Wesentlichen die sehr enggefassten Glaubensüberzeugungen der dominierenden Klasse innerhalb des journalistischen Feldes. Da nahezu alle Informationen und Ansichten, die diesen Überzeugungen entgegenstehen, aus dem Mediensystem rausgehalten werden, muss man von einer Zensur sprechen. Die angebliche „journalistische“ Selektion, Einordnung und Gewichtung ist eben keine solche, sondern sie hat die Form und die Gestalt einer Zensur.
Dazu ein Zitat des französischen Soziologen Pierre Bourdieu:
„Die Journalisten, die im Übrigen viele Gemeinsamkeiten aufweisen, solche der beruflichen Voraussetzungen, aber auch der Herkunft und Ausbildung, lesen einander, sehen einander, begegnen sich bei Debatten, bei denen man immer auf dieselben Gesichter trifft, und all das führt zu einer Geschlossenheit des Milieus und – scheuen wir uns nicht, es auszusprechen – zu einer Zensur, die ebenso wirksam ist wie die einer zentralen Bürokratie, eines förmlichen politischen Eingriffs, ja wirksamer noch, weil unauffälliger.“
Bourdieu bezog sich dabei natürlich auf die französischen Medien. Aber die Aussage trifft auch voll auf die deutschen Medien zu.
Lass uns gleich bei Bourdieu bleiben: Du hast mehrmals schon vom „journalistischen Feld“, wie ihn auch Bourdieu verwendet, gesprochen. Ich würde Dich bitten, die Feldtheorie von Bourdieu zu erklären.
Der Begriff „Feld“ ist uns allen bekannt. Wenn wir uns ein Feld vorstellen, dürften wir eine abgegrenzte Fläche in der Natur oder Landwirtschaft vor Augen haben, auf der bestimmte Pflanzen wachsen. Die Fläche ist dadurch gekennzeichnet, dass sie an ihren äußeren Rändern Grenzen hat, sich also abhebt oder unterscheidet von anderen Flächen. Innerhalb des Feldes finden wir einen eigenen Mikrokosmos, mit verschiedenen Lebewesen, Lebensbedingungen usw.
Bourdieu überträgt dieses Bild auf die Gesellschaft und spricht im Hinblick auf Mikrokosmen, die in einer Gesellschaft auszumachen sind, von „Feldern“. Eine Eigenschaft dieser gesellschaftlichen Felder besteht darin, dass sie sich auch nach außen hin zu anderen Feldern abgrenzen, ihre eigenen Gesetzlichkeiten, Regeln haben, nach denen die Interaktionen innerhalb des Feldes ablaufen.
Bourdieu sagt zum Beispiel, dass, wer in das politische Feld eintritt, eine Konversion, eine Umwandlung durchmachen muss. Er muss sich auf das Feld einlassen, seine Regeln akzeptieren und idealerweise auch Teil des Feldes werden, wenn er sich darin gut bewegen möchte. Felder dienen Bourdieu als Analysekategorie, die es ihm erlaubt, die jeweiligen gesellschaftlichen Mikrokosmen besser soziologisch-analytisch zu erfassen.
Welche Einflussfaktoren – neben der bereits erwähnten sozialen Zusammensetzung in den Medien – prägen denn noch das journalistische Feld und führen zu der von Dir genannten Zensur?
Die soziale Zusammensetzung des journalistischen Feldes allein führt noch nicht zu der Zensur, die zu beobachten ist – wenngleich sie ein wesentliches Element ist. Betrachtet man sich das journalistische Feld näher, wird deutlich, dass die Zensur weiter ausgeformt wird durch
- den Rekrutierungsmodus,
- die berufliche Sozialisation innerhalb des journalistischen Feldes und
- durch das journalistische Feld selbst.
Dieses Zusammenwirken aus Sozialisation, einem bestimmten Rekrutierungsmodus, der beruflichen Sozialisation und dem Feld selbst, führt zu der Zensur, die zu beobachten ist. Natürlich gibt es auch noch die klassischen äußeren Faktoren, wie etwa Besitzverhältnisse, Einflussnahmen von Interessengruppen usw., die auch eine Rolle bei der Ausrichtung der Berichterstattung spielen, die ich aber für meine Analyse weitestgehend ausgeklammert habe.
Ich möchte jetzt noch – um bei Bourdieu zu bleiben – auf einen feldübergreifenden Aspekt zu sprechen kommen, den Du in Deinem Buch als Herrschaftsnähe von Politikern und Journalisten bezeichnet hast. Worin kommt diese Herrschaftsnähe zum Ausdruck?
Sie zeigt sich in nahezu der gesamten Berichterstattung, wenn es um entsprechende Themen geht. Für mich ist eines der besten Beispiele ein Vorfall, der 2009 bei der Vorstellung des neuen Koalitionsvertrages zu beobachten war und der auf Video festgehalten wurde. An ihm kann man wie unter einem Brennglas ablesen, wie Herrschaftsnähe aussieht. Du erinnerst Dich vielleicht daran.
Ich erinnere mich und er ist noch im Internet nachzusehen.
Damals saßen vorne auf dem Podium bei der Pressekonferenz Guido Westerwelle, Angela Merkel und Horst Seehofer. Wie üblich wurden Fragen gestellt, die man als pseudokritisch bezeichnen darf. Dann meldet sich der niederländische Journalist Rob Savelberg zu Wort. Er stellt Merkel die Frage, wie sie Wolfgang Schäuble als Finanzminister berufen könne, wo der doch bei der CDU-Spendenaffäre eine dubiose Rolle gespielt und 100.000 Mark Spendengeld in seinem Schreibtisch liegen hatte.
Kawum! Mit solch einer Frage hatte niemand gerechnet. Durch seine Frage und auch sein Nachhaken, hat Savelberg wunderbar den unausgesprochenen und doch zugleich klar erkennbaren Nichtangriffspakt zwischen versammelten Journalisten und Politikern durchbrochen. Er hat, ohne sich darum zu kümmern, die „rote Linie“ überschritten, hat dort angesetzt, wo ein herrschaftskritischer Journalismus ansetzen kann.
Man muss das, was sich in dem Moment abspielt, als Savelberg reingrätscht, anschauen, auch das Verhalten der anderen Journalisten, die dort sitzen beobachten. Man kann an ihrem Verhalten und an der Stimmung regelrecht ablesen, dass allen im Raum die „Grenzüberschreitung“ bewusst ist. Durch seine Frage demaskiert Savelberg natürlich auch seine Kollegen, dem Zuschauer wird bewusst, dass Savelberg das tut, was die anderen eben nicht tun – echte Kritik zu üben.
Interessant ist, dass im Nachgang, also nachdem das Video veröffentlicht war, Savelberg im Netz sozusagen bekannt wurde, das Video viral ging. Absurderweise wurde Savelberg sogar von Medien zu seinem Auftritt interviewt. Also im Grunde genommen zu etwas, was doch eigentlich ganz normal, eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Journalisten sind aufgrund ihrer Position nun mal privilegiert, haben Zugang zur Politik, können Politiker in so einer Situation, wie bei der Pressekonferenz, Fragen stellen – aber eben im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit und nicht im Sinne eines Schauspiels, das ihre Verbundenheit und Zustimmung zu Politikern und der Politik zeigt. Dass viele Bürger Savelberg zugejubelt und Medien ihn interviewt haben, zeigt, dass sein Verhalten eben eine absolute Ausnahme ist.
Ein sehr gutes Beispiel. Lässt sich die Herrschaftsnähe auch strukturell erkennen?
Wir könnten im Hinblick auf die Herrschaftsnähe auch darauf eingehen, wie Journalisten zu Pressesprechern von Politikern werden, dann auch wieder zurück in den Journalismus wechseln usw. Wir könnten darüber sprechen, wie über Jahre führende Redakteure der Wochenzeitung DIE ZEIT im Lenkungsausschuss der machtelitären Bilderberg-Gruppe saßen und von dort aus deutsche Politiker in eine der exklusivsten Treffen dieses Planeten eingeladen haben, also selbst zum Player wurden. Beispiele gibt es viele, anhand derer sich Herrschaftsnähe der Medien ablesen lässt.
Nun ist die spannende Frage, wie dieser „Glaubenslehre“ zu entkommen ist? Wie sollen sich die Menschen informieren, die Klaus Kleber (ZDF) nicht mehr ertragen, dem SPIEGEL nach Relotius nicht mehr vertrauen und deren waren Probleme – wie zu geringer Arbeitslohn, Niedrigrente und fehlende Kinderbetreuung – eh nur in Sprechblasen vorkommen, ohne das handfeste Taten folgen?
Mediennutzern muss klar sein, dass die Berichterstattung der Medien nicht die Realität so zeigt, wie sie ist, sondern ein Konstrukt ist. Es ist ein Produkt, das von vielen Verzerrungen bestimmt wird. Als Mediennutzer muss mir klar sein, dass ich nicht etwas mit meinen eigenen Augen sehe, sozusagen filterfrei (ignoriert man mal den eigenen Filter vorm Auge), sondern, dass ich durch die Augen eines anderen Blicke. Wenn ich mir abends einen 1:30-Beitrag in der Tagesschau anschaue, dann muss ich wissen, dass dieser Beitrag durch viele Hände gegangen und von vielen Augen im Vorfeld zu dem geworden ist, was ich nun sehe. Ein Redakteur, dessen Blick alleine schon durch seine Sozialisation nicht ungetrübt ist, hat den Auftrag gegeben, dass dieser Beitrag erstellt wird (warum diesen und keinen anderen?). Der oder die Reporter vor Ort, schauen auch durch eine bestimmte Brille auf den Gegenstand ihres Interesses. Dann ist der gesamte Beitrag im Hinblick auf das jeweilige Format (z.B. Länge des Beitrags. Was kann in der Kürze der Zeit gezeigt werden, was nicht? usw.), aber auch die Sendung als solches (was ist das Selbstverständnis der Sendung? Wer gestaltet Sie? In welchen weiteren Kontext, der zur Beeinflussung beiträgt, ist sie eingebettet? usw.) in Betracht zu ziehen.
Diese holzschnittartigen Überlegungen sind wichtig, wenn es darum geht, Medien kritisch zu nutzen oder eben der „Glaubenslehre zu entkommen“. Wenn man das begriffen hat, weiß man, dass grundsätzlich Medienberichte zu hinterfragen sind – egal ob sie nun von so genannten Qualitätsmedien oder alternativen Medien im Internet stammen.
Mediennutzer sollten versuchen, möglichst viele unterschiedliche Quellen zu nutzen und dabei alles grundsätzlich zu hinterfragen, mit dem eigenen kritischen Verstand zu prüfen. Wenn man so an Nachrichten rangeht, wird es etwas leichter, Propaganda und Manipulation von sauberem Journalismus zu trennen.
Vielen Dank, lieber Marcus!