Zum Nichtangriffspakt zwischen Journalisten und Politikern
„Oder wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird.“ (Klöckner 2019)
Rezension von Franziska Schneider
So kann es gehen:
Nun die Frage: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer veruntreut Millionen von Steuergeldern für eine Maut und die kritischen Fragen, ob nun bei Marcus Lanz oder der etablierten Presse, sind bestenfalls kosmetisch gemeint und werden mit Augenzwinkern gestellt. Aber warum? Erklärungen dafür finden sich in dem Buch „Sabotierte Wirklichkeit“ von Marcus B. Klöckner.
„Ein Journalismus ist entstanden, der sich wie ein Schutzmantel um die politischen Weichensteller legt. […] Eine Berichterstattung erfolgt, die vorgibt zu sagen, was ist, aber dabei unaufhörlich sagt, was sein soll.“
(Klöckner 2019: 9)
Ob Russland, Ukraine oder USA, die Berichterstattung in den Medien stößt einem Teil der Bevölkerung immer wieder übel auf. Der Eindruck entsteht, dass hier der deutschen (Außen-)Politik zum Munde geredet wird; dass der politische Nutzen des jeweiligen Beitrags vor den üblichen Nachrichtenfaktoren steht. Wieso ist die Meinungsvielfalt in den Medien offensichtlich so eingeschränkt, obwohl es zahlreiche Experten mit unterschiedlichen Auffassungen gibt? Diese und andere Fragen beantwortet Klöckner theoretisch fundiert anhand der Feldtheorie des Soziologen Pierre Bourdieu.
„Es geht hier um einen Glaubenskampf, es geht um die Verteidigung von Weltbildern – unter dem Deckmantel einer angeblich objektiven Erfassung und Einordnung der Realität.“
(Klöckner 2019: 217)
Zensur im journalistischen Feld
Nach Klöckners Definition ist von Zensur zu sprechen, „wenn flächendeckend, immer wieder über einen längeren Zeitraum medienübergreifend und dauerhaft zentrale Medien bestimmte Themen, Stimmen und Sichtweisen unterdrücken.“ (Klöckner 2019: 26; Hervorhebung im Original) Die Zensur entsteht dann, wenn sich die Denkweisen und Weltanschauungen im journalistischen Feld ähneln und deshalb unisono und ohne Absprache, ähnliche Selektionen, Einordnungen und Themengewichtungen vornehmen. Hauptsächlich dafür verantwortlich ist die Sozialisation und soziale Zusammensetzung im journalistischen Feld.
Wie wir die Welt und Realität wahrnehmen, hängt entscheidend von der Sozialisation ab. Im journalistischen Feld haben wir es mit einem sehr homogenen Habitus zu tun, also dem, was den Denk-, Handlungs-, aber auch Wahrnehmungsformen eines jeden Menschen zugrunde liegt. Ein Blick in eine Studie von Siegfried Weichenberg verdeutlicht, dass Journalisten hauptsächlich aus einem Gesellschaftssegment, dem der Mittelschicht, kommen. Deren Eltern waren zu zwei drittel Angestellte oder Beamte. Unter zehn Prozent der Journalisten kommen aus einer Arbeiterfamilie. (Vgl. Klöckner 2019: 31) Wenn nun die soziale Zusammensetzung so homogen ist, kann auch davon ausgegangen werden, dass der Habitus der im journalistischen Feld agierenden Akteure sehr ähnlich ist. So wird der Konformismus im journalistischen Feld verständlich, der sich an Autoritäten anpasst und die Herrschaftsverhältnisse akzeptiert, statt kritisch hinterfragt. (Vgl. Klöckner 2019: 33) Das schwierige an dieser Art Zensur, um die Worte von Klöckner zu verwenden, ist, dass es beim täglichen hören, lesen und sehen der Nachrichten zwar auffällt, jedoch der greifbare Zensor fehlt, den, den wir dafür verantwortlich machen können. Trotz Kritik an der zu weiten Auslegung des Zensurbegriffs, hält Klöckner an dem Begriff fest und begründet dies in seinem Buch auch sehr schlüssig und umfassend. Man könnte es auch indirekte Zensur oder Selbstzensur nennen, die im Übrigen aber letztlich viel wirksamer ist, als ein direkter Eingriff von „Oben“.
Fragwürdige Rekrutierungspraxis an Journalistenschulen
Wer an eine Journalistenschule will, hat demnach große Chancen, wenn er aus dem Bildungsbürgertum kommt und eine gute Allgemeinbildung aus der Schule mitbringt. Wichtig ist, dass der Bewerber die weltanschauliche Grundeinstellung und die Wahrnehmungs- und Denkkategorien mit dem journalistischen Feld teilt. (Vgl. Klöckner 2019: 50) Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Doch spätestens wenn der ökonomische Druck hinzukommt seinen Job zu verlieren, weil man zu viel hinterfragt hat, ist der Anpassung schwer zu widerstehen. Wenn es also ein Akteur aus der Unterschicht in die großen Medienhäuser schafft, bedeutet das in der Regel nicht, dass dieser die Konflikte austrägt, die ihn vermutlich ereilen, wenn er über eine Hartz IV Familie statt über einen Anzeigenkunden schreiben will. Der Anpassungsdruck ist groß, sehr groß. Das Beispiel der Journalistenschulen verdeutlicht, dass sich durch die Rekrutierungspraxis jene Journalisten herangezogen werden, die später in den großen Medienhäusern des Landes arbeiten werden. Sie kommen aus demselben „Stall“ und haben gelernt, sich anzupassen. Deshalb muss eine Kritik an der Berichterstattung auch die strukturellen Ebenen beleuchten.
„Das journalistische Feld ist nicht dazu in der Lage, das hervorzubringen, was es liefern soll, nämlich dauerhaft (und nicht nur punktuell) einen gesellschaftspolitisch kritischen Journalismus, der das Verhalten der Herrschenden, wenn nötig, von Grund auf und mit aller Entschlossenheit kritisiert. Und es kommt noch schlimmer: Nicht nur, dass so das journalistische Feld bei seiner Kernaufgabe versagt, in der weiteren Konsequenz richtet es sich auch noch gegen jene, die Kritik an Herrschenden und Machteliten üben […] – es wird also zu einem Schutzschild für die Mächtigen -, und stellt sich außerdem auch noch gegen die Interessen der unteren Klassen.“
(Klöckner 2019: 35)
Weltanschauliche Verbundenheit von Journalisten und Politikern
Nicht nur, dass Journalisten zusehends unkritischer werden, sondern noch schlimmer, sogar die politischen Agenden übernehmen, eben weil sie derselben Elite angehören und nicht anders denken, belegt Klöckner anhand mehrerer Beispiele: Hartz IV, Feind im Osten oder die „uns geht es doch gut“-Leier. Die Agenda 2010 konnte nur so reibungslos umgesetzt werden, weil es eben selten kritische Berichterstattung gab (vgl. Klöckner 2019: 37; hierzu auch Butterwegge 2005).
Trifft dies auch auf die gesetzgeberische Verschärfung der Sicherungsverwahrung, der ich mich in meinen Forschungen widme, seit 1998 zu? Ich denke schon. Jedoch ist mein Ansatz mit dem politische-publizistischen Verstärkerkreislauf ein verbindender, der sowohl Akteure aus Medien als auch Politik in die Verantwortung nimmt.
Zurück zur ideologischen Verbundenheit zwischen Politikern und Journalisten, die im Übrigen auch daran zu erkennen ist, dass viele Journalisten in die Politik, in den politischen PR Bereich wechseln. Es ist aber auch nichts Seltenes mehr, wenn Journalisten, nachdem sie für einen führenden Politiker gearbeitet haben, dann wieder in den Journalismus zurück wechseln. (Vgl. Klöckner 2019: 161 ff.) Dass dies zwischen Lobbyverbänden und Politik schon lange Usus ist, macht die Sache nur schlimmer (vgl. Wagenknecht 2011). Auch die Netzwerkanalyse von Uwe Krüger in seiner 2013 erschienenen Doktorarbeit „Meinungsmacht“ verdeutlichte die weltanschauliche Verbundenheit zwischen Journalisten und Politikern. Krüger hat aufgezeigt, wie Spitzenjournalisten tief in politischen Think-Thanks verwoben sind und damit keine journalistische Distanz mehr zu den politischen Eliten halten.
Journalisten haben Benennungsmacht und die Macht über das Rederecht
Wer hat in den unzähligen Talkshows am Abend eigentlich die Möglichkeit, seine Meinung kundzutun? Wer wird zu einem bestimmten Diskurs nur sehr selten gefragt, obwohl er anerkannter Experte auf dem Sachgebiet ist? Auch diesen Fragen geht Klöckner analytisch auf den Grund. Erst wenn ein Experte eine bestimmte Reputation und sich einen bestimmten Status auf einem Gebiet erarbeitet hat, hat dieser die Chance, auch in den Medien gehört zu werden. So schlussfolgert Klöckner: „Je höher der Status, je größer die Reputation, umso breiter ist der Zugang dieser Person zu den Medien.“ (Klöckner 2019: 183) Beides, Status und Reputation, werden durch Anerkennung zuerkannt. Und diese Anerkennung verleihen Medien, sie verfügen über Benennungsmacht.
Wer als Experte die politische Weltauffassung nicht teilt und trotzdem Rederecht von Medien erhalten hat, muss damit rechnen, nicht nur von der Politik, sondern auch vom Medium selbst abgeurteilt zu werden (vgl. Klöckner 2019: 196). Klöckner empfiehlt, sensibel auf die Sprache in den Medien zu achten: „Wir müssen als kritische Mediennutzer unser Sprachverständnis schärfen und genau in die Sprache, die Ausdrücke, die Formulierungen ‚reinhören‘, die Journalisten nutzen.“ (Klöckner 2019: 197) Beispielsweise bei der Verwendung der Begriffe Terrorismus, Freiheitskämpfer oder Rettungsschirm.
Wir brauchen ein neues Mediensystem
Ein neues Mediensystem muss her, fordert Klöckner in seinem Fazit. Solange dies nicht da ist, gilt es, sich aus mehreren Quellen zu informieren und stets alles kritisch zu hinterfragen. Jede Quelle gilt es zu überprüfen. Auch (oder gerade deswegen) wenn die glaubhafte Quelle eine staatliche Behörde ist, ob nun Polizei oder Ministerium oder Rathaus. Klöckner verdeutlicht, welch scheinbar grenzenloses Vertrauen Medien bestimmten Politikern entgegenbringen und auch Aussagen von Behörden unkritisch reflektieren. Es existiert ein „Spannungsverhältnis zwischen ‚glaubwürdigen‘ Quellen, einer distanzierten, kritisch hinterfragenden Berichterstattung und medial konstruierten Wirklichkeiten“ (Klöckner 2019: 111).
Die Analyse des Mikrokosmos der Medien von Klöckner verdeutlicht an vielen aktuellen Beispielen die strukturelle Schieflage im Journalismus. „Das journalistische Feld neigt sehr oft dazu sich vor die Institutionen zu stellen und deren ‚Wahrheiten‘ aufzusaugen und zwar auch dann, wenn es nicht angebracht ist.“ (Klöckner 2019: 117) Dies trifft nach meinen bisherigen Recherchen auch auf den Medien-Politik-Strafrecht Komplex zu. Nur ein neues, aufsehenerregendes Verbrechen und schon fordern Politiker als auch Medien härtere Gesetze und härteres Strafen. Warum andere Problemlösungen medial nicht vorkommen, hat Klöckner sehr anschaulich beschrieben. Doch es bleibt ein Versagen vieler Ebenen (Medien, Politik, Zivilgesellschaft, Justiz, Wissenschaft). Wenn weder Medien noch Politik für die Minderheiten der Gesellschaft, ob nur Hartz IV Empfänger, Homosexueller oder Knacki, Stellung bezieht, deren Position wiedergibt, dann wird diese Minderheit doppelt ausgegrenzt.
Klöckner, Marcus B. (2019): Sabotierte Wirklichkeit. Oder wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird. Frankfurt/Main: Westend Verlag.
Weitere Literatur:
Butterwegge, Christoph (2005): Krise und Zukunft des Sozialstaates. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Wagenknecht, Sahra (2011): Freiheit statt Kapitalismus. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag.