Lehrstück Medienmacht

Franzi/ Januar 17, 2020

Anzeigenzeitung entscheidet, Leserbriefe von DIE LINKE nicht mehr kostenlos zu publizieren

Von Franziska Schneider

Printmedien, insbesondere Regionalzeitungen, schrumpfen, fusionieren, werden wieder weiter verkauft (aktuelles Beispiel: Mitteldeutsche Zeitung) und dabei inhaltlich zusehends schlechter. Grund dafür ist, dass sich zu wenige Journalisten um immer größer werdende Landstriche kümmern, die Mantelteile einer Zeitung die aufwändigere Regionalberichterstattung verdrängen und dadurch weniger am Geschehen dran und die „Geschichten“ der Bürger drin sind. Während mancher Orts in Brandenburg gar keine Zeitung mehr die Haushalte erreicht, gibt es insbesondere im Speckgürtel von Berlin noch private Anzeigenzeitungen. Zum Beispiel den seit 1990 im Verteilgebiet Erkner, Woltersdorf, Schöneiche, Amt Grünheide, Rüdersdorf, Gosen und Neu Zittau erscheinenden Kümmels Anzeiger (Auflage: 24.387 Exemplare).

Meinungsstarker Kümmels Anzeiger

Im Wahljahr 2019 haben nahezu alle Parteien hier Anzeigen geschaltet. Auch die AfD. Es lohnt ein Blick in die Zeitung: Anzeigen von regionalen Firmen, Berichte selbst geschrieben von der Volkssolidarität oder den ortsansässigen Sportvereinen. Dazu nützliche Infos, wo wann was stattfindet, wer worin Hilfe anbietet und wer was verkaufen will. Ein normales Anzeigenblatt eben, oder? Bemerke: Kein einziger journalistischer Beitrag! Dafür über zwei Seiten Leserbriefe – für die nicht die Redaktion verantwortlich ist. Aber: Die Rubrik Meinung/Kommentar wird gelegentlich bedient.

Zwei thematische Beispiele herausgegriffen: Mitte 2019 wird im Kümmels Anzeiger ein Kommentar publiziert, der u.a. belegen soll, wie viele Todesfälle es durch das Impfen von Kindern bereits gab. In der nächsten Ausgabe wird ein Leserbrief eines ortsansässigen Kinderarztes gedruckt, der vor Augen führt, wie fehlerhaft der Kommentar war. Immerhin. Man hätte ja auch pro und contra der Impfpflicht in einer Ausgabe bringen können, aber da sprach vermutlich der größtmögliche Anzeigenerlös dagegen. Ein anderes Beispiel, ebenfalls 2019: In einem Meinungsbeitrag erklärt der Herausgeber des Kümmels, weshalb er dafür ist, die Dinge „beim Namen zu nennen“, nämlich auch die Nationalität bei Kriminalitätsfällen. Auch hier wurde in der Folgeausgabe der gegenteilig argumentierende Leserbrief der hier Schreibenden, ungekürzt, abgedruckt. Immerhin. Nun, dies wird in Zukunft nicht mehr geschehen. Zumindest für Letztgenannte, die Autorin dieses Beitrags. Was ist passiert?

Geld regiert die Meinung

Die LINKE Stadtfraktion Erkner stellte Ende des Jahres 2019 einen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung, man möge nach einer Möglichkeit suchen, das Amtsblatt nicht mehr im Kümmels Anzeiger publizieren zu müssen. Begründung: Kümmels würde nicht für ein friedliches, tolerantes und weltoffenes Erkner eintreten. Das hat gesessen. Es begann im veröffentlichten Leserforum des 14-tägig erscheinenden Kümmels Anzeiger ein Lobgesang auf das meinungsstarke, so nicht mehr im Mainstream zu findende Anzeigenblatt. Gleichzeitig wurden LINKE Mitstreiter des Zensurvorwurfs bezichtigt.

Die Auseinandersetzung innerhalb linker Mitglieder und Sympathisanten, ob weiter im Kümmels Anzeiger Leserbriefe oder Anzeigen publiziert werden sollten, ist beendet – es sei denn, man zahlt. Viele waren eh der Meinung, dass man in dem Blatt nichts mehr bringen könne, weil es zu AfD-lastige Meinungen enthält. Die Autorin dieser Zeilen teilt die Meinung nicht, denn wir können dieses starke, flächendeckende Medium nicht anderen Meinungen überlassen. Ich sehe bis heute meine Pflicht darin, mitdiskutieren zu müssen, denn eine pauschale Abqualifizierung aller Kümmels-Leser und -Schreiberlinge, halte ich für falsch. Wenn wir wissen wollen, was die Bürger in unseren Ortschaften bewegt, müssen wir verständnisvoll zuhören und erklären. Und aus Mangel an eigener Deutungsmacht eben auch im Kümmels Anzeiger. Mein Leserbrief wurde jedoch nicht mehr veröffentlicht, dafür aber ausschnittweise die Antwort des Herausgebers an mich:

Sehr geehrter Herr Hauke, sehr geehrter Herr Feige,

Ihre Äußerungen im Kümmels Anzeiger Nr. 26/19 vom 18.12.2019 unter der Rubrik Leserforum/Meinung veranlassen mich zu einer Richtigstellung sowie zwei Anmerkungen.

1. Sie unterstellen mir, neben weiteren Fraktionsmitgliedern für den Antrag „Amtsblatt der Stadt Erkner“ der Fraktion DIE LINKE in der SVV verantwortlich zu sein. Da ich von Oktober bis Anfang Dezember aus gesundheitlichen Gründen weder an Ausschusssitzungen noch an Fraktionssitzungen teilnehmen konnte, trifft das nicht zu. Wenn ich den Antrag zu verantworten gehabt hätte, wäre die Stoßrichtung bezüglich des Amtsblattes eine andere gewesen.

2. Nichtsdestotrotz habe ich eine eigene Meinung dazu. Diese ist geprägt durch meine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema sowie meine berufliche Erfahrung als ehemalige medienpolitische Referentin der Linksfraktion im Landtag Brandenburg. Meine Intention in einem Antrag wäre gewesen, als Stadt den Bürger ausgewogen, mit journalistischen Mitteln und über ein Amtsblatt hinaus zu informieren. Dazu gibt es sehr viele Beispiele aus anderen Gemeinden: das Ortsblatt Fredersdorf-Vogelsdorf oder das Stadtmagazin Bernau.

3. Ihre Reaktion, sehr geehrter Herr Hauke, ist berechtigt und war auch berechenbar. Ich will sie weder einschränken, noch dagegen – an dieser Stelle – argumentieren. Sie mussten im Landtagswahlkampf mit meinen Plakaten als Landtagskandidatin samt Anarcho-Sticker und Che-Button leben, wie das auch Herr Nickel kürzlich richtig festgestellt hat. Ich muss mit den Meinungen im Kümmels leben. Weder Sie noch ich möchten in der Meinungsfreiheit eingeschränkt werden.

Deshalb erachte ich ein unabhängiges Informationsmedium für die Stadt Erkner als äußerst erforderlich. Denn der Stadt ist es doch ein Anliegen, die Bürger bestmöglich zu informieren und zu befähigen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Sie haben in Ihrem Artikel deutlich gemacht, dass Sie als Herausgeber des Kümmels meinungsverstärkend statt meinungsbildend wirken wollen. In diesem Fall würde ich es sehr begrüßen und ich denke, der Bürgermeister hat Ähnliches vor, die Bürger anderweitig ausgewogen mit journalistischen Inhalten über die Belange der Stadt zu informieren.

Denn auch ein Amtsblatt muss nicht in gedruckter Form in alle Haushalte, es genügt online und an Auslegestellen in der Stadt. Wichtig ist ein Medium, das den Bürger ansprechend und in journalistisch aufbereiteter Form informiert. Wichtig ist ein Medium, das den Bürger ermächtigt, sich selbst eine Meinung zu bilden und möglichst anregt, sich für die Belange im eigenen Ort zu engagieren. Das kann in Form eines gedruckten Ortsblattes, das kann ein Blog oder eine App sein.

Franziska Schneider

P.s.: Sehr geehrter Herr Feige, Ihre Replik auf DDR Zeiten stößt bei mir auf Granit. Mein Geburtsjahr ist 1986, ich hatte eine durchgängige BRD Bildung – von der Grundschule bis zum Abschluss meines Studiums sowie meiner derzeitigen Doktorarbeit. Meine Entscheidung für die Politik der Linken erfolgte also nicht aus Gewohnheit, Beziehungspflege oder der Erwartung auf persönlichen Vorteil, sondern aus Überzeugung.

Leserbrief von Franziska Schneider vom 27.12.2019

Sehr geehrte Frau Schneider,

Sie haben uns erneut einen Leserbrief zur Veröffentlichung zugeschickt. Da ich spannende Debatten mag und Diskussionen nur dann lebhaft sind, wenn sich viele unterschiedliche Meinungen darin widerspiegeln, habe ich immer alle Briefe veröffentlicht, und zwar genau so wie sie geschrieben wurden. Diese Veröffentlichungen kosten echtes Geld, da bedrucktes und verteiltes Papier teuer ist und immer teurer wird.

Ich habe auch Ihre Briefe und die Ihrer Genossen immer völlig unabhängig davon gedruckt, ob sie meiner Meinung entsprechen oder nicht. Dieses Prinzip gilt im Hauke-Verlag nicht nur für die Briefe der Linken, sondern auch für alle anderen. Niemals mache ich mir eine Meinung zu eigen, bloß weil ich sie veröffentliche. Dabei wird es auch bleiben. Ich mache allerdings ab sofort eine Ausnahme: Informationen, Pressemitteilungen und Leserbriefe von den Linken und ihrer Funktionsträger veröffentliche ich nur noch gegen die Bezahlung der Kosten, die eine solche Veröffentlichung tatsächlich verursacht.

Ihre Partei, aber auch Sie persönlich zeihen mich öffentlich der Intoleranz. Mit diesem Argument möchten Sie erreichen, dass meinem Verlag ein kommunaler Auftrag entzogen wird. Sie wollen aber genau die von mir seit Jahrzehnten entgegen Ihrer öffentlichen Aussagen praktizierte Toleranz politisch ausnutzen, in dem Sie Ihre Informationen, Ihre Propaganda und Ihre Leserbriefe regelmäßig an mich schicken und davon ausgehen, dass ich sie kostenfrei veröffentliche. Damit ist nun Schluss. Es wird keine Veröffentlichung der Linken oder seiner Mandats- und Funktionsträger in den Medien des Hauke-Verlages mehr geben, wenn Sie als Linke nicht bereit sind, die entstehenden Kosten dafür zu übernehmen.

Wenn Sie möchten, mache ich Ihnen gern ein Angebot für die jeweilige Veröffentlichung. Die echten Kosten für den Platz, den Ihr aktueller Leserbrief bei uns einnehmen würde, liegen bei 366,00 Euro zzgl. MWSt. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie bereit sind, diese Kosten zu bezahlen oder ob Sie es nach wie vor für selbstverständlich halten, dass ich diese Kosten für Sie trage.

Mit freundlichem Gruß
Michael Hauke

Antwort von Michael Hauke vom 1.1.2020 auf den Leserbrief

Satire pur

Ich frage mich: Wie will man erkennen, dass etwas von DIE LINKE ist? Klar, als ich den Leserbrief geschrieben habe, war ich noch Mitglied der Fraktion DIE LINKE in der Erkneraner Stadtverordnetenversammlung. Darf ich nun wieder Leserbriefe kostenlos schreiben? Oder sollen die Leserbriefschreiber demnächst noch ihren Parteiausweis an den Leserbrief anhängen? Wird im Hauke Verlag eine Black-List angelegt, die aus allen Orten die ehrenamtlich für die LINKE Arbeitenden ausschließt? Oder entscheidet die Redaktion einfach nach Gutdünken, was eine „linke“ Einstellung und Meinung ist und genügt das schon, um ihn nicht zu publizieren? Stopp mal! Vollzieht der Hauke Verlag hier genau das, was die AfD den Mainstreammedien vorwirft? Dietrich Kittner hatte recht: Satiriker haben heutzutage ein leichtes Spiel, man muss Politik (und Medien) nur noch zitieren.

Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, über welche Deutungsmacht ein Anzeigenblatt verfügen kann. Wünschenswert wäre, die Städte und Gemeinden würden dem etwas entgegensetzen. Wünschenswert wäre, wenn in dieser misslichen Situation Bürgermedien entstehen würden, in denen sich jeder – unabhängig von Geldbeutel und Parteibuch – äußern kann. Vor allem aber ist wichtig, dass man das, was in der Zeitung oder im Internet steht, was man im Radio hört, kritisch hinterfragen sollte. Denn es wird nicht gesagt, „was ist“. Das ist, egal ob in einer linken oder rechten Publikation, eine Medienrealität.
Statt, um auf den Beginn des Artikels zurückzukommen, der Frage nachzugehen, wie das Sterben von Regionalzeitungen aufgehalten werden kann, sollte man lieber fragen, wie zeitgemäßer Lokaljournalismus aussehen kann. Wir benötigen nicht nur eine Meinungs-, sondern auch eine Medienvielfalt.


Ergänzung 21.1.2020:

Nur, um das Rechenbeispiel von Herrn Hauke aufzugreifen.

Herr Hauke möchte von mir und demnächst allen Linken, die Leserbriefe an ihn senden, die „Bezahlung der Kosten, die eine solche Veröffentlichung tatsächlich verursacht“. Geld, dass er für konservative, blaue, braune und anderweitig gefärbte Leserpost scheinbar gern ausgibt. Er begründet dies damit, dass ihn das Publizieren der (linken) Leserbriefe durch Druck und Verteilung Geld kostet. In meinem Fall ruft er einen Kostensatz von 366 Euro zzgl. MwSt. auf. Das ist interessant. Denn mein Brief umfasst sehr großzügig geschätzt eine halbe Seite. Ausgehend von 24 Seiten, die so ein Kümmels Anzeiger im Durchschnitt umfasst, legt Herr Hauke seine Gesamtkosten für Druck und Verteilung damit auf ziemlich genau 17.568 Euro netto fest. Experten schätzen den notwendigen Aufwand mit höchstens Euro 3.000 netto ein. Herr Hauke sagt entweder die Unwahrheit oder wäre gut beraten, das Gespräch mit seinen Lieferanten zu suchen. Oder seine Bezugsgröße besteht in Wahrheit darin, die genutzte Fläche als mit Anzeigen belegt gegenzurechnen. Das klingt wahrscheinlicher, aber nicht besonders seriös.  

Ich stelle eine Gegenthese auf, indem ich die Bezugsgröße ändere:

Durch das Veröffentlichen von Leserbriefen spart der Hauke Verlag Geld und erwirtschaftet damit am Ende mehr Gewinn bzw. weniger Verlust. Er hat hier nämlich keinerlei Ausgaben. Würde der Hauke Verlag einen freien Journalisten beauftragen, Stadtverordnetenversammlungen und Veranstaltungen in Erkner und Umgebung zu besuchen, um anschließend darüber zu berichten und das Blatt damit zu füllen, müsste er diesen für seine Leistung bezahlen.

Ergo: Durch das seitenweise Veröffentlichen von Leserbriefen erspart sich der Kümmels Anzeiger die Bezahlung eines freien Journalisten. Die Leserbriefe kosten ihn keinen Cent, sondern ersparen ihm die Ausgaben für qualitativen Lokaljournalismus.

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