Hollunderblütensirup und Kapitalismuskritik
Stiftung bewahrt Lebenswerk des Kabarettistenehepaars Christel und Dietrich Kittner
Flummi hieß er, der Mähroboter, auf den man gleich an der Zufahrt zum Grundstück freundlich hingewiesen wird: „Roboter kreuzt!“ Der zweite Blick verfängt sich in der wehenden Regenbogenfahne, die an einem Mast mittig der freien Rasenfläche hängt. Keine Umzäunung, viel Freiraum und Ruhe, Feuerstelle, schattige Weinlauben und Grillhütte. An den Garagen der drei rechtwinklig angelegten Häuser ist eine unübersehbar große Friedenstaube – gemalt von Dietrich Kittner. Daneben steht das Logo „tak“. tak ist das ehemalige Theater am Küchengarten in Hannover von Christel und Dietrich Kittner. Seit Mitte der 90er Jahre zogen sie sich aus dem trubeligen Stadtleben zurück in die mediterrane Idylle von Dedenitz bei Bad Radkersburg in der Steiermark, wo wir in deren Landhaus Hollerhof eine Woche Urlaub machen. Zur Begrüßung gibt es von Christel selbstgemachten Hollunderblütensirup. Die Ferienwohnung ist, wohin das Auge blickt, bestückt mit politischen Botschaften. Über dem Wasserkocher ein eingerahmtes Bild: „Make Tea, not war“. Auf dem Nachttisch „Ossietzky“ und ein gut sortiertes Bücherregal im Wohnzimmer. So war es vor zehn Jahren.
Aus dem Urlaub erwuchs eine sehr herzliche Freundschaft und politisch-kulturelle Zusammenarbeit meiner Eltern und mir mit Christel und Dietrich Kittner. Wir aus dem Osten, Kittners aus dem Westen. Und doch gab es politisch viel mehr Gemeinsamkeiten. Uns einte das Ziel einer aufgeklärten, sozialeren Welt. Dietrich und mich verband noch eine zusätzliche Leidenschaft: Das Interesse an Osteuropa sowie slawische Sprachen und Kultur. So kam es, dass ich Kittners regelmäßig über meinen persönlichen Werdegang per Eulenspiegel Postkartenkalender informierte und mir beide fast wie Großeltern ans Herz wuchsen, die ich nicht mehr hatte. Nach Dietrichs Tod bastelten Christel, mein Papa und ich an dem letzten Buch, welches Dietrich noch veröffentlichen wollte: Aus dem Leben eines Glaubenichts. So kam es, dass ich heute Mitglied des Vorstandes der „Stiftung kultureller Förderung und Bewahrung des Lebenswerkes von Dietrich und Christel Kittner“ bin und meinen Oster- und eigentlich Studienurlaub für meine Dissertation wieder in jener Ferienwohnung verbringe. Allerdings ohne Christel und Dietrich.
Denn Deutschlands bissigster Kabarettist Dietrich Kittner ist im Februar 2013 verstorben, seine Frau Christel ein Jahr später. Im Landhaus Hollerhof schrieb Dietrich seine Kabarettprogramme, Bücher und Aufsätze. Dort empfingen sie gerne Freunde, Bekannte und Urlauber, für die sie drei Ferienwohnung in einem Scheunengehöft einrichteten und mit denen sie zum Teil bis spät in die Nacht Wein tranken und erzählten. Und zwar genau so lange und unermüdlich, wie es Dietrich auch bei seinen Kabarettvorführungen pflegte.
Seit 2017 füllt sich der Hollerhof wieder mit Leben. Die Nachlassabwicklung verlief so bürokratisch, kompliziert, wie man es aus Dietrichs Programmen über Gesundheitsreform, Hartz IV etc. kennt. In Ihrem Vermächtnis legten Christel und Dietrich Kittner fest, dass der Hof und das Vermögen einer Stiftung zu gute kommen sollen. Diese existiert nun seit Ende 2016 und hat den Zweck Kunst und Kultur, insbesondere des politischen deutschsprachigen Kabaretts im Sinne von Christel und Dietrich Kittner zu fördern. Unsere Stiftungsarbeit hat zwei Schwerpunkte: Zum einen fördern wir künstlerische Arbeiten und organisieren Kabarettveranstaltungen, die dem kulturell-politischen Anliegen von Dietrich Kittner nachkommen. Auch eine Biografie über Dietrich Kittner wird demnächst erscheinen. Zum anderen erhalten und bewirtschaften wir den Hollerhof. Die renovierten Ferienwohnungen laden ein, auch ohne Dietrich und Christel, den unveränderten politisch-kulturellen Charme des Landhauses zu genießen. Die Vermietung dient dem Erhalt der Einzigartigkeit des Hollerhofes sowie der Finanzierung kultureller Aktivitäten.
Zur Person: Dietrich Kittner (1935-2013)
Dietrichs Handwerkszeug war die Sprache und das Lachen. Vom Norddeutschen Rundfunk bis Frankfurter Rundschau und zurück wurde er als „einer der besten Solokabarettisten“ bezeichnet. Er kämpfte mit den Mitteln der Sprache – nicht mit Waffen – für eine bessere Welt. Rastlos versuchte er, politisch unbequeme Wahrheiten aufzudecken. Er war ein scharfsinniger Analytiker, aufmüpfig, besessen, bissig, schlagfertig und gefürchtet. Schadenfreude und Betroffenheit war der Kern seiner Kabarettnummern. Er beherrschte sein Metier wie kein anderer: Sketch, Parodie, Chanson oder Ballade, ganz abgesehen von seinen Nachrichtensprecherrollen.